Ich gehe dann mal meinen Weg..................

(alles was ihr hier lesen könnt sind meine Gedanken und rühren aus meiner persönlichen Erfahrung. Es kann vielleicht übertragbar sein, ist aber nicht dafür gedacht. Ich möchte mein Gesicht nicht verlieren und auch nicht meinem Spiegelbild in ein paar Jahren die Frage stellen müssen:"Warum hast du nichts gesagt?")

1990 oder wie alles begann und wie es schlagartig still wurde:

Ihr Kind wird mit einer Behinderung geboren werden


Peng, und damit fing alles an. Diese Aussage traf mich im August 1990 völlig unvorbereitet, denn ich hatte im Mai des selben Jahres ja eine Fruchtwasseruntersuchung vornehmen lassen. Da war alles paletti. Kind putzmunter und ohne Gen-Defekt. Mit dieser Aussage des Dr. S. aus München und während des 3D Ultraschalls wurden die Lebenskarten für mich neu gemischt. Eine schier unglaubliche Odyssee sollte damit beginnen.  


Heute, 32 1/2 Jahre später bin ich durch viele Höhen und Tiefen gegangen. Aufgegeben habe ich nie, aber jetzt stehe ich kurz davor, Warum und wieso, darüber schreibe ich hier ausschließlich als Mutter. Denn neben all meinen Ämtern, all meiner Verantwortung, ich bin auch Mutter eines Kindes mit komplexer Behinderung und das kann mir niemand nehmen. Seit September 2016 lebt mein Kind in einem Wohnheim für Menschen mit einem hohen Hilfebedarf. Durch meine Arbeit im Ehrenamt und aktiv in der Behindertenhilfe  war mir die Tragweite meiner Entscheidung, mein Kind in eine stationäre Wohnform zu geben,  durchaus bewusst. Mir war bekannt, dass die Personalschlüssel bei weitem nicht ausreichen, um eine adäquate Betreuung und ein Leben in Teilhabe und sozialem Umfeld zu ermöglichen. . Dass es aber gleich mit 4 schweren Unfällen und drei Brüchen an den Fußknöcheln enden sollte, damit hatte ich nicht so schnell gerechnet. Also habe ich nicht lange gezögert und die ersten Briefe geschrieben. An den Träger der Einrichtung, an den Leistungserbringer, dem zuständigen Bezirk in Bayern und an die Verantwortlichen in der Politik, sowie der Heimaufsicht. Der Vorsitzende der Grünen meinte lapidar, er hätte sich erkundigt und es waäre alles richtig. Mein Engagement könnte ich natürlich gerne privat weiter führen. Da hatte ich keine Worte mehr. Von der SPD kam keine Antwort. Die CSU nahm ihren Namen wörtlich und ich fand genau die Untersützung, die ich dringend gebraucht hatte.


So konnte ich mir sicher sein, dass man sich auch den Vorfällen annahm und diese nicht auf die leichte Schulter nahm. Es kam zu einer Einigung, es wurden einige Bewohner im Hilfebedarf hochgestuft (sagen wir mal, eher den entsprechenden Bedürfnissen angepaßt), und somit konnte eine zusätzliche Nachtbereitschaft, neben der eigentlichen Nachtwache, vom Leistungsanbieter finanziert werden. Soweit so gut. Was nachwievor ein großer Mangel war und auch noch wegen fehlender Kapazitäten zunahm, die fehlenden Möglichkeiten, auch aus personellen Gründen, Teilhabe zu ermöglichen. Wieder schrieb ich Briefe und es gab einen runden Tisch. An dem wurden Möglichkeiten erörtert, was man seitens des Leistungsträgers anbieten könnte. Es gab mehr Geld für die Teilhabe und zwar nicht nur für das Wohnheim meines Kindes, sondern darüber hinaus auch noch für weitere Einrichtungen, die es auch dringend benötigten.

Und dann kam der Einbruch, fiel Corona über die Menschheit her und die Auswirkungen in der Behindertenhilfe waren nicht nur unglaublich, sondern die Folgen sind bis heute nachhaltig zu spüren. Die Menschen mit hohem Hilfebedarf sind aus dem Blickfeld verschwunden. Dabei rede ich nicht von den Selbstvertretern, sondern ich rede von den Menschen mit hohem Hilfebedarf, die sich nicht selbst vertreten können und ihren Eltern sowie Angehörigen.. Verzweiflung, Resignation, Stille. Unglaubliche Stille ist eingezogen. Still wurde es in den Wohnheimen, still wurde es auf der Straße und still wurde es unter den Eltern. Man hatte genug mit sich selbst zu tun um noch den Alltag stemmen zu können.



Hilfe - mein Kind verhungert  


Bei uns verhielt es sich so, dass sich mein Kind kurz vor dem ersten Lock Down einer ambulanten OP unterziehen musste. Mit Hilfe des MZEB Würzburg (Medizinisches Versorgungszentrum für erwachsene Menschen mit Behinderung) konnten wir nach jahrelangem vergeblichen Bemühen einen Arzt für uns gewinnen, der mein Kind auch ambulant und mit örtlicher Betäubung operierte. Alles hatte prima geklappt und der Arzt war so was von feinfühlig. Solche Menschen sind in ihrem Beruf unentbehrlich, aber leider sehr selten.

Dann kam der Lock Down und ich damit vor der Entscheidung, Kind rein ins Heim, oder zuhause lassen. Beides ohne Möglichkeiten einer Korrektur. Da die Fäden noch nicht gezogen waren und ich mich auch nicht auf unbestimmte Zeit von meinem Kind trennen wollte, behielt ich es  zuhause. Wohl die richtige Entscheidung, aber prägend für mein weiteres Leben und dieser Zustand hält bis heute an. Mein Kind fand es anfangs toll, weil es sowieso nicht von zuhause fort möchte und bis heute große Probleme mit dem "wieder zurück" hat. Jeder Besuch birgt eine emotionale Belastungsprobe für uns. Manchmal klappt es gut, manchmal wieder nicht. Momentan ist es ganz schlimm und ich kann es auch sehr gut nachvollziehen. Sicher fühlt er sich oftmals wie ein blinder Mensch der im Kino einen Stummfilm angeboten bekommt. Wenn wir alle den Lock Down nur schwer kompensieren konnten, wie soll es dann ein Mensch können, dem man die Gründe noch nicht einmal erklären kann? Nach ein paar Wochen fing mein Kind an, jede Nahrungsaufnahme zu verweigern. Zum einen auch aus Angst und Abneigung vor den Tabletten, zum anderen, weil es seine gewohnte Tagesförderstätte vermisste. Denn in der Tafö spielte sich seine wirkliche Teilhabe ab. Wir haben das rausgefunden, als es einmal am Telefon die Stimme seiner Betreuerin aus der Tafö vernahm. Es fing an zu weinen. Normalerweise tut es das nicht, kann es womöglich auch gar nicht einordnen. Die Tränen liefen aber einfach. Ich heulte erstmal mit. Alles war unhaltbar geworden. 

Ich schickte einen Hilferuf an den besten Professor (in meinen Augen)und Fürsprecher, den nichtsprechende Menschen in der Fachkunde der neurologischen Erkrankungen (Epilepsie) in Deutschland haben. Er hatte vollstes Verständnis für meine Situation und keine 5 Tage später habe ich mein Kind in das Auto gesetzt und bin einfach losgefahren. Ich hatte keine Angst vor einem möglichen Anfall, ich hatte nur noch Angst um mein Kind und auch um mich, denn vom Gefühl und der Erfahrung her, war und bin ich bis heute neben dem Vater die einzige Vertraute, bei denen es ein Zuhause und auch den Schutz vor dem System findet, wenn die Gesellschaft versagt. Traurig und wenn man bedenkt, dass ich nicht ewig leben werde, sehr nachdenklich stimmend. Nachdem ich in der neurologischen Klinik auf der Station für nichtsprechende Menschen mit hohem Hilfebedarf die Übergabe durch hatte, ich wusste, dass mein Kind dort erst einmal sicher und irgendwie versorgt ist, fuhr ich wie ferngesteuert wieder hunderte von Kilometer allein nachhause. Es fehlte etwas und ich hatte das Gefühl, versagt zu haben.




Es geht weiter - nur eben anders


In der Klinik wurde als erstes festgestellt, dass ich doch alles mögliche getan hatte und die Spiegel der Anfallsmedikamente immer noch in einem mehr oder weniger wirksamen Bereich lagen. Die vielen Stunden morgens und abends, in denen ich verzweifelt versucht hatte, die Medikamente irgendwie hineinzubekommen, hatten doch immer noch ein klein wenig Erfolg gebracht. Da mein Kind aber auch in der Klinik die Nahrungsaufnahme und Tablettengabe verweigerte, hielt man Rücksprache mit der Apotheke Vorort. Man einigte sich darauf, die Wirkstoffe in eine Zäpfchenform zu pressen und rektal zu geben. Es war ein Versuch wert und klappte auch anfangs relativ gut. Natürlich war es meinem Kind unangenehm und sicher verursachte es auch immer wieder ein brennen. Wir mussten da aber nun durch. Die Alternative wäre eine Magensonde gewesen. Die habe ich abgelehnt, da ja kein medizinischer Grund vorlag, sondern nur die Situation um den Lock Down herum, unser Leben in Schieflage gebracht hatte. Im Wechsel hielten sich der Vater und ich auf dem Gelände des Zentrums auf und konnten mit unserem Kind nachmittags spazieren gehen. Dafür gab es im Sinne ders Infektionsschutzes Zeitfenster, die wir jeweils im Vorfeld anmelden mussten. Gemeinsam durften wir uns nicht auf dem Gelände aufhalten. So fand unser Jahresurlaub eben getrennt statt. Einmal begegneten wir uns im Vorbeifahren auf der Autobahn. Als mein Kind wieder etwas zugenommen hatte und das Thema Magensonde vom Tisch war, konnte die Entlassung geplant werden. Wir hatten Glück, dass sich die  Lage um Corona herum entspannte und so holte ich es ab und brachte es direkt zurück ins Wohnheim. Wieder nachhause, wäre für uns alle kontraproduktiv gewesen. Wenige Wochen später hielt das Personal vom Wohnheim bzgl. der Form der Medikamentengabe Rücksprache mit uns und wir ließen uns auf den Versuch ein, wieder zur oralen Gabe überzugehen. Alles klappte gut und die Lage entspannte sich insgesamt wieder. Teilweise hielt sich auch das Personal aus der Tagesförderstätte in den Räumen zur Betreuung auf, was ein großes Glück im Unglück für mein Kind war. Nun lief die Teilhabe ausschließlich innerhalb des Wohnheimes und explizit nur auf der Wohngruppe ab. Für mein blindes Kind, unter nichtsprechenden Mitbewohnern traurig. Jeder Tag lief gleich und vor allem war es ja auch so, dass die Bewohner gar keinen Anhaltspunkt mehr hatten, ob es Montag, Dienstag oder auch Wochenende war. Auf dem Gelände um das Wohnheim herum gibt es keine Möglichkeiten, für Menschen mit hohem Hilfebedarf für Abwechslung zu sorgen. Es gibt keine Bänke, keine Tische, keine Therapieschaukeln, kein Sonnenschutz oder ähnliches. Ein paar ältere Bäume bieten allenfalls Schatten auf dem hügeligen und teilweisen unwegsamen Gelände. Seit Jahren helfe ich engagiert mit, Gelder für eine Außenplatzgestaltung zu akquirieren. Leider tut sich nichts. Es ist in meinen Augen einfach nicht gut, bzw. gestaltet sich sehr schwierig, wenn ein Träger nicht Vorort vertreten ist, sondern auf wenigen Schultern die Bürokratie und alles was mit der Führung eines Wohnheimes der Behindertenhilfe zusammenhängt, gemeistert werden muss. Auch laufen Spendengelder nicht, wenn keine Öffentlichkeitsarbeit Vorort statt findet. Nebenbei bemerkt, Menschen wie mein Kind, leben auch heute noch außerhalb der Gesellschaft, weil sie kaum und momentan eben nicht sichtbar sind. Wie soll die Solidargemeinschaft dann überhaupt wissen, was diese Menschen mit ihrer komplexen Behinderung benötigen, um auch glücklich sein zu können? Traurig ist dabei, dass es oftmals auch einfach bei den Verhandlungen zwischen Leistungsträger und Leistungsanbieter unterschiedliche Auffassug zugeben scheint, was Menschen mit Hilfebedarf eben individuell brauchen. Besser würde es klingen, wieviel Aspruch und immerhin auch laut Gesetz generell individuell, einem Menschen mit Behinderung für seine Lebensgestaltung und Möglichkeit zusteht. Mann nennt das auch individuelle Maßnahmen, oder personenzentriertes verhandeln. Bei dem Wohnheim, welches meinem Kind sein Zuhause stellt, handelt es sich um eine Einheit mit 3 Wohngruppen, bestehend aus jeweils 8 BewohnerInnen. Mann nennt das dann Wohngemeinschaft. Jeder Bewohner hat ein eigenes Zimmer welches mit einer großen Schiebetür zu einem gemeinsamen Bad mit einem weiteren Bewohner verbunden ist. Dazu gibt es dann den Hauptaufenthaltsraum, eine Art Wohnküche. Dieser Raum ist zum Flur hin über die ganze Breite offen und viel Licht flutet durch die vielen Fenster in den Raum. Im Sommer leider auf viel heiße Luft. An der anderen Wand ist die Küchenzeile, wo die Mahlzeiten für die Bewohner angerichtet werden. Zusätzlich gibt es ein Sofa und einen Sessel, einen kleinen Tisch und ein Sideboard, auf dem ein TV Gerät steht. Das Zimmer meines Kindes birgt ein Niederflurpflegebett, einen 1 x 2 m großen Schrank, 1 Nachtschrank mit 3 Schubladen und einen kleinen Tisch mit einem Stuhl. 1 Regal über dem Kopfende des Bettes. Mehr passt nicht in das kleine Zimmer hinein, da bis auf der Wand wo das Bett steht, alles mit Türen versehen ist. Der Tisch steht vor der kleinen Terrassentür, die große Badezimmertür und die große Eingangstür an den verbleibenen 2 Seiten. In dem 1 x 2 Meter Schrank, muss ein ganzes Leben verstaut werden. Das Leben im Wohnheim ist nunmal nicht vergleichbar mit einem normalen Leben. Nicht dass diese Bewohner gar keinen privaten Besitz hätten, oder auch brauchen, aber man steht es ihnen einfach sichtbar und fühlbar nicht zu. So werden im Sommer die Wintersachen auf den Schrank plaziert und im Winter die Sommersachen. Wenn die Eltern nicht mehr den Rest zuhause zwischenlagern können, gibt es zu den vielen Problemen, Hürden und Widerstände, halt wieder eines mehr. Man könnte auch ironisch sagen, dass es ja nicht weiter schlimm ist, denn die BewohnerInnen wissen es ja nicht anders.  Mit diesem letzten Satz kann man in der Behindertenilfe ganz viele Probleme lösen. Das habe ich in all den vergangenen Jahren gelernt.



Fachkräfte, Hilfskräfte, Zeitarbeitskräfte und der eklatante Mangel an Personal


Wenn man bedenkt, dass wir in Deutschland eine Heimaufsicht haben, die dafür da ist, Missständen entgegenzutreten, dann sollte man auch soviel Vertrauen in die Kompentenz der Aufsicht haben, dass man sie auch wirken lässt. Anfangs hatte ich das auch, musste aber schnell feststellen, dass aufgedeckte Missstände, nicht immer Folgen haben, wenn es dann um die Umsetzung der Änderung geht, denn so wurde mir gesagt, eine Heimaufsicht ist nicht weisungsbefugt. Sie kann nur ein Ordnungsgeld verhängen. Sprich zum Beispiel damals, ihr erinnert euch an meinen Beitrag mit den Fußbrüchen? Die Heimaufsicht und der Leistungsanbieter wissen um viele Begebenheiten, die oftmals vielzusehr am untersten Limit agieren, oder sogar noch darunter. Die Heimaufsicht (in meinen Augen sehr sehr sinnvoll) deckt Missstände bei Kontrollen auf und der Anbieter wird gebeten, die Missstände abzubauen. Nun hatte ich einst gedacht, dass es dann in einem bestimmten Bereich besser werden könnte, was aber nicht so einfach passierte. Denn sind Verhandlungen mit den Leistungsträgern erfolgt, dann ist der Anbieter (also Wohnheimträger) auch verpflichtet, mit den ausgehandelten Kostensätzen, die auferlegten gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen. So einfach dann mehr Geld seitens Kostenträger zu erwarten, um nachbessern zu können, ist also nicht drin. Da sind dann Eltern und Angehörige auch mal eine tatkräftige Unterstützung, wenn man auf den Leistungsträger zugeht. Hilft das auch nicht, können Eltern immerhin versuchen, persönlich mit ihrem Angehörigen auf den Leistungsträger zuzugehen um die Sachlage darzustellen. Dann startet die große Mühle der Bürokratie und das kann dann Jahre dauern. Mann muss das nicht verstehen und Leistungsträger verhandeln auch nicht mit Eltern und Angehörigen. Was ein Mensch mit Behinderung an individuellen Bedürfnissen hat und wie sie in welcher Höhe finanziert werden, wissen das Leute aus der Verwaltung und Wirtschaft einfach besser. Klingt grotesk und auch ich wurde selbst mit dem Verweis, dass Angehörige da zu emotional denken, abgewiesen. Da nützt es auch nicht, wenn man selbst Verwaltungsfachwirt, Rechtsanwalt, Sonderpädagoge, oder der Leiter einer Sparkasse im Alltag ist. Da bin ich als  Angehörige und die Menschen, die den Hilfesuchenden direkt und teils über Jahrzehnte hinweg betreut und versorgt haben, ganz einfach raus. Will man es doch, dann können daraus Jahre werden, aber kann durchaus auch zu Erfolg führen. Ausnahmen bestätigen aber auch hier die Regel. Es gibt in unserem Heimatbereich eine kleine Gruppe von Menschen mit hohem Hilfebedarf und eine engagierte Mutter, die eigentlich nur kämpft und das auf Grundlage von Gesetzen. Sie hat es geschafft, dass ihre Tochter mit weiteren Mitbewohnern in einer kleinen Wohneinheit, ambulant betreut wird. Der Betreuungsschlüssel ist himmlisch und das Leben der Bewohner Teilhabe orientiert und ausgeglichen. Nach langem Lernprozess stehen für mich die Bibel und die Gesetzbücher SGB 9 vormals (SGB 12) und SGB 11 auf gleicher Höhe, wenn es um die Umsetzung unserer ethischen Grundsätze in unserem Leben geht. Folge ich diesen, könnte ich auch individuell und gut leben. Mann muss eigentlich nur den Inhalt kennen und entsprechend fundiert verwerten können. Auch sollte man vorher Kurse belegen, wie man sich am besten sprachlich ausdrücken kann. Gute und fundierte Kenntnisse in der Rhetorik sind auf allen Ebenen im Leben nie verkehrt und eigentlich schon die halbe Miete. So habe ich als Mutter eines Kindes mit komplexer Behinderung entsprechende Kurse bei der Volkshochschule in meiner Freizeit absolviert. Bei meinem anderen Kind habe ich Latein auf der VHS nachgelernt, bei meinem Kind mit Behinderung war es die Gebärdensprache, Das innere Kind, NPL -Training und Rhetorik. Ja, mit einem besonderen Kind, sollte man sich gut fürs gemeinsame Leben vorbereiten.

Doch kommen wir zurück zu den Fachkräftemangel. Generell gibt es in den Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe eine Fachkraftquote und die muss eingehalten werden. Dabei braucht die Fachkraft nicht Vorort zu sein, aber im Notfall müsste sie erreichbar sein und kommen können. 2016 wurde da auch noch viel Wert drauf gelegt und auch eingehalten. Mit Corona scheint irgendiwe dahingehend ein Umdenken eingetreten zu sein. Vom Gefühl her bin ich froh, wenn die altbewährten Hilfskräfte wenigstens noch im Einatz sind. Manche Gesichter sieht man vom Gefühl her immer, manche nur selten. Das rührt auch daher, dass es ein Schichtsystem gibt. Das Personal in Wohnheimen auf Basis der Teilhabe setzt sich aus Minijobbern zusammen, bzw. Teilzeitkräften. Das ist am wirtschaftlichsten, da ja die Bewohner tagsüber in der Tagesförderstätte sind, oder aber einen Arbeitsplatz in der Werkstatt haben. Also liegt der Schwerpunkt der Arbeitszeit morgens und ab Nachmittag. Dazu bei Wohnheimen für Menschen mit hohem Hilfebedarf, eine Nachtwache. Dieses Schichtsystem stellt Mitarbeiter vor eine große Herausforderung auch mit Blick auf das eigene Familienleben.

In den Zeiten, wo Corona und die entsprechenden Maßnahmen die Situation bestimmte, wuchsen die Mitarbeiter über sich selbst hinaus. Leider nicht ohne Folgen. Eine Art Fluktuation setzte ein und der Markt gab nunmal und gibt immer weniger her. Wohnheime mit ihren nichtsprechenden Bewohnern, die noch dazu einen großen Unterstützungs- und Hilfebedarf haben, sind eine extreme Herausforderung für MitarbeiterInnen. Sie geben alles und bekommen wohl auch sehr viel zurück. Dennoch schlaucht es und als Mutter einer Kindes mit hohem Hilfebedarf, kann ich das alles sehr gut nachvollziehen, was gerade auf dem Markt abgeht. Ich kann aber nur hilflos zusehen. Dazu kam dann in der letzten Zeit vermehrt der Einsatz von Zeitarbeitskräften. Meiner Kenntnis nach, unterliegen diese weitaus besseren Arbeitsbedingungen und bekommen viele Zugeständnisse. Bereits im Jahre 2018 war ich schockiert, wie auf der großen Messe für das Soziale in Nürnberg, die ConSozial, Stände mit Vertretern von Zeitarbeitsfirmen aufgebaut und die Beschäftigungsform angepriesen wurde. Im sozialen Bereich? Für mich nur sehr schwer Vorstellbar. Mir wurde vorgeschwärmt, dass ich als künftiger Mitarbeiter mir aussuchen könnte wo und mit welchen Klientel ich arbeiten möchte. Auf keinen Fall Doppelschichten und auch keine Nacht- und Wochenenddienste, wenn ich es nicht wollte. Ein höherer Stundenlohn noch dazu. Auf der anderen Seite sind aber diese Zeitarbeitskräfte viel teurer für den Arbeitgeber, so wurde es uns vom Wohnheimträger erklärt. Wenn ich mich jetzt in die Lage eines festangestellten Mitarbeiters versetze, der momentan auch mal eine Doppelschicht ableisten muss, würde da nicht bei mir Unmut aufkomen? Verständlich wäre es jedenfall in meinen Augen. Zeitarbeit in bestimmten Bereichen, z.B. in der Pflege von Bewohnern mit individuellen Bedürfnissen finde ich persönlich aber auch nicht gut und es verwundert mich, warum die Behindertenhilfe nicht bereits vor Jahren dahingehend reagiert hatte. Auch die sensibilisierte Politik findet Zeitarbeit in Einrichtungen der Pflege nicht gut und die Leistungsträger damit auch nicht. Darum, so wurde es uns jetzt erklärt, refinanzieren sie diese teuren Kräfte auch nicht. Mit der Konsequenz, dass der Träger vom Wohnheim meines Sohnes adhoc auf diese verzichtet hat und nun die mögliche Schließung, zumindest Abbau einiger Wohnheimplätze, uns Eltern und Angehörigen angekündigt wurde. Und damit sind wir wieder da angekommen, wo Wirtschaft und Verwaltung nunmal am besten zu wissen scheinen, was wirklich gebraucht wird. Es reicht noch nicht zum Sterben, für ein einigermaßen gutes Leben, reicht es aber sichtlich auch nicht mehr. Das ist keine Anklage, es ist meine persönliche Feststellung und beruht auf meiner persönlichen Erfahrung. Wahrscheinlich sehe ich es aber auch jetzt wieder zu emotional, wenn ich mir vorstelle, was aus meinem Kind zuhause passiert, wenn ich tot umfalle.



Was erwarte ich eigentlich noch, oder glaube ich überhaupt noch an unser soziales System?



Wir leben in einer Demokratie und sehen uns als Sozialstaat. Ich war immer damit zufrieden, in einem Land wie Deutschland zu leben. Ich habe mich mit unserer Geschichte auseinandergesetzt und bereits in der Schulzeit beschlossen, dass ich niemals ein Mitläufer sein werde. Dass ich immer Schwächeren zur Seite stehen werde und dankbar sein werde für das, was mir am Ende geboten wird. Leider hat mir mein Leben aber den einen oder anderen Felsbrocken in den Weg gelegt. Ich bin aber entweder drum herum gegangen, oder habe einfach den Mut gefasst und bin über den Fels geklettert. Einfach war mein Leben bis jetzt nicht. Vielleicht kann ich darum auch immer noch die Kraft und den Mut ziehen, anderen in ähnlicher Situation beizustehen. Ich weiß einfach, wie man beschissen und hilflos man sich fühlen kann. Mir selbst scheint es heute, als gehe unser Staat, unsere Gesellschaft den leichtesten Weg, also den, wo keine Steine seitens Dritter in den Weg gelegt werden können.Wir leben "Ich" bezogen und helfen uns wenn überhaupt, nur selbst. Gerne holen wir uns aber dafür die Hilfe von außen und die sollte dann auch selbstlos und umsonst sein.  Unser Staat hat für viele Geld und Hilfen übrig. Die ganze Welt weiß und kann merken, wie gut wir Deutschen sind und wie wir Solidarität ausüben und dazu stehen. Was die Welt (noch) nicht zu wissen scheint ist, wie wir mit Menschen mit Behinderung und hohem Hilfebedarf umgehen, also mit denen, die sich nicht selbst vertreten können und keine Stimme haben. Die nicht aufmucken, die nicht auf die Straße gehen können und die auch in der Behindertenhilfe immer weiter nach unten durchgereicht werden. Irgendwann werden sie wieder verschwunden sein. Entweder zurückgezogen mit ihren Eltern irgendwo in Deutschland, vielleicht nebenan oder gegenüber, wer weiß das schon, wenn man sie doch gar nicht mehr auf der Straße treffen kann? Vielleicht auch in irgendeiner Psychiatrie, angebunden, in einem Gitterbett eingesperrt, oder fixiert mit einem Bettgurt, allein bis auf den Mahzeiten, die entweder in Form einer Magensonde verabreicht werden, oder aus Pudding bestehen? Auch mein Kind wird übrigen seit den Fußbrüchen nachts im Bett fixiert, damit er nicht alleine im Anfall aufstehen kann und erst die Nachtwache mithilfe eines Epilepsiewarngerätes im zur Seite stehen kann. Notwendig wurde dieses, da der Werdenfelser Weg aufgrund des zugestandenen Personalschlüssels nicht möglich ist.  Depressiv werden können Menschen mit einer geistigen Behinderung auch. Nur haben sie kein Recht auf eine Psychotherapie. Da sie ja sowieso behindert sind, stehen wir ihnen ja auch erst gar keine Krankheitsbilder zu. Wir fassen es alle unter dem Begriff "sowieso behindert" zusammen. Sie haben auch kein Recht auf eine Transplantation, wenn sie eine schwere Hirnschädigung haben. Man beruft sich da auf "aus ethischen" Gründen. Kinder, die im Mutterleib Auffälligkeiten zeigen, können aus medizinischen Gründen abgetrieben werden bis kurz vor der Geburt. Mich verwundert es immer in Gesprächen, wenn mich meine Gesprächspartner ungläubig anschauen, wenn ich ihnen davon erzähle. Sollte man als Bundesbürger nicht wissen, was in unserem Staat alles erlaubt und nicht erlaubt ist?  Manchmal kommt es mir in der heutigen Zeit so vor, als wiederhole sich gerades vieles aus unserer Geschichte. Wir nennen es nur anders, oder wir legen es anders aus. Wir trauen uns vielleicht (noch) nicht (alle) zu sagen was wir denken. Doch haben wir als Eltern unseres erwachsenen Kindes mit hohem Hilfebedarf just vor einer Woche wieder schriftlich diesen Satz gehört und gelesen: Bitte holen Sie ihr Kind nachhause. Helfen Sie uns. Wir können es nicht mehr entsprechend versorgen. Ich finde schon, dass es ein grenzenloses Armutszeugniss für unsere Solidargemeinschaft, für unseren Sozialstatt ist. Die Macht der Eltern hatte 9 Jahre nach Kriegsende mit dem Holländer, Tom Mutters, an der Spitze dafür gesorgt, dass ihre Kinder mit Behinderung sich auf den Weg machen können, ein gleichwertiges Leben ohne Angst und vor allem in Würde führen zu können. Die Zeit, wo man die Kinder aus Angst hinter dem Ofen auch nach Kriegsende versteckte, schien endlich vorbei. Aktive Eltern haben tatkräftig mit angefasst und gemeinsam mit Fachleuten aufgebaut. Eine Förderung wurde auf den Weg gebracht, das Recht auf Schulbildung in den sechzigern eingeführt. Diese Eltern der Nachkriegsgeneration schienen nimmermüde zu sein. Im Verband gestärkt, widmeten sie sich auch der Politik und scheuten sich nicht, Politiker direkt anzusprechen. Man wies auf Versorgungslücken hin und vor allem auf das Recht auf Leben in der Gemeinschaft. Sie haben Spendengelder gesammelt und haben geholfen, Berge zu versetzen. Sie haben die Werkstätten mit aufgebaut, weil für ihre Kinder auch nach der Schule der Weg weitergehen sollte. Es wurde die Kreis- und Ortsvereinigungen gegründet, Landesverbände und die Fachlichkeit ausgebaut. Mit zunehmender fachlicher Besetzung des Personalstammes, wurden Wohnformen geplant und umgesetzt, immer im Einklang mit dem Wissen von Eltern. Die Entwicklung in der Behindertenhilfe mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention, das Bundesteilhabegesetz und die zunehmende Selbstständigkeit der Selbstvertreter, wurde überwiegend von der Fachlichkeit verhandelt und umgesetzt. Die Gründereltern wurde müde, oder verstarben nach und nach, bzw. zog sich auch aus Altersgründen zurück. Teilweise wurden sie auch zunehmend in den Hintergrund verwiesen. Die Folgegeneration Eltern, zu der ich mich auch zähle, konnte sich auf vieles einfach verlassen und natürlich auch auf den Erfolgen der Elterngeneration zuvor ausruhen. Vieles nahm ich fast unglaubwürdig an, dass es alles einfach so lief und Hilfe und Unterstützung vorhanden war. Die Eltern von heute, so kommt es mir jedenfalls vor, agieren wieder ganz anders. Sie verlassen sich nicht mehr nur darauf, was vorhanden und gestellt ist. Sie kennen die Gesetze und ihre Rechte. Sie entwicklen eine fundierte Grundlage und stellen sich dem System. Leider könnte das aber in meinen Augen eher zu einer Entsolidarisierung und zu Einzelfallentscheidungen führen und ist somit nicht übertragbar auf andere Leistungssuchende. Aktivisten sind es allemal und ernstzunehmen. Sie kommen, sehen und holen sich die Information aus dem Internet und fangen an zu hinterfragen. Pochen auf Gesetzestexte und fordern die Umsetzung von Rechten für ihre Kinder. So wie es alles auch 1958 angefangen hat. Schaun wir mal, wie es weitergehen wird. Die Geschichte wird es zeigen und ich denke, wir werden wieder nur noch im Zusammenhalt weiter kommen. Schaffen wir es nicht mehr an einem Strang zu ziehen, wird sich die Welt in der Behindertenhilfe aus meiner Sicht zunehmend in zwei Welten teilen. Die guten ins Töpfchen, für die Schechten haben wir die Alten- und Pflegeheime. Durchschnittliche Verweildauer, so habe ich es mal einer Statistik entnommen 6 - 8 Monate. Und mein Leben entwickelt sich gerade, nach vielen Jahren meiner aktiven Zeit im Ehrenamt und immer Sinne der Menschen mit Behinderung unterwegs, in einen Alptraum ohne richtige Perspektive, wieder daraus zu erwachen. 



Zitat "Du bist ewig für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast.." 


Das Löwenkind sitzt traurig auf seinem Stein und lässt seinen Blick über seine geliebte Insel schweifen. Es denkt an den Jungen in einem Wohnheim. Löwenkind durfte ihn kennenlernen und hatte gleich gespürt, dass etwas ganz besonderes von dem Jungen ausging. Der Junge war blind, aber er konnte hören. Er konnte auch ein wenig sprechen und ein paar Schritte laufen. Löwenkind sagte zu ihm, er solle es doch mal auf seiner Insel besuchen kommen. Der Junge aber antwortete dem Löwenkind, dass er doch keine Augen hätte um all die schönen Dinge auf der Insel zu sehen. Dass würde doch gar nichts machen, versicherte ihm das Löwenkind. Weißt du, lieber Junge, man sieht nur mit dem Herzen gut. Ja, meinte der Junge, dass mag ja sein. Aber ich kann doch auch nicht richtig sprechen. Du verstehst mich und ich weiß eigentlich auch gar nicht warum. Da lachte das Löwenkind und nahm den Jungen in den Arm. Ich kann doch mit meiner Seele hören und meine Seele spricht mit dir. Die Münder der Menschen da draußen in deiner Welt mögen Worte formen, die uns wohl berühren, die aber nicht uns gerichtet sind. Sie würden uns auch gar nicht weiterhelfen. Ihre Augen übersehen uns, weil sie geblendet wurden von Macht und Reichtum und vom Egoismus, wie die Zeit ihn mit sich gebracht hat. Sie beachten uns nicht, weil sie uns gar nicht mehr sehen können. Sie können auch nicht mehr hören, weil ihre Ohren nur noch die Töne erreichen, die sie sich selbst geformt haben. Der Junge lachte und verstand sofort, was Löwenkind ihm gesagt hatte. Löwenkind hatte den Jungen in den Arm genommen und über seinen Kopf gestreichelt. Weißt du, hatte es zum Abschied zu ihm gesagt, ich habe dich sehr lieb. Menschen wie du, sind seltene, aber wunderschöne Blumen. Schade, dass es auf eurer Erde nur wenige davon gibt. Ich würde mich freuen, wenn ich auf meiner Insel solch schöne Blumen finden könnte. Normal darf niemand auf meine Insel kommen. Nur meine Gedanken dürfen alle lesen. Doch für dich, würde ich eine Ausnahme machen. 


Das war nun schon wieder längere Zeit her und während das Löwenkind der untergehenden Sonne zuschaute, fragte es sich, wie es dem Jungen wohl gerade ergehen würde? Es wurde an der Zeit, dass das Löwenkind seine Sachen packte, all seinen Mut zusammen nahm und sich auf den Weg machte, um für eine bessere Welt in der Behindertenhilfe in Deutschland zu sorgen. Zu verlieren hatte es ja gar nichts, aber es könnte vielleicht Leben retten, oder zumindest lebenswerter machen.


Das Löwenkind drehte sich noch einmal um und ging.



 


...Fortsetzung folgt....




 


 

 

 

 

Seelengedanken auf Reisen durch das Leben Ein Koffer voller Seele